Hier die Anfrage vom 22.11.2012 (als pdf)
anfrageltshs

Und hier meine Antwort vom 16.01.2013

Sehr geehrter Herr Eichstädt,
sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder im Sozialausschuss des Landtages Schleswig-Holstein,

gerne nehme ich Stellung zu Ihrer Anfrage vom 22.11.2012.

Das Thema Drogen- und Suchtpolitik steht spätestens seit den neuen politischen Entwicklungen vom November 2012 in Colorado und anderen Bundesstaaten in Amerika wieder hoch auf den Tagesordnungen. Dort haben Bürger per Volksabstimmung den bisherigen offiziellen Kurs der strikten Prohibition beendet. Nicht nur dort, sondern auch in Europa, wie z.B. in der Tschechischen Republik, Spanien, Holland und Portugal setzen sich neue progressive und lösungsorientierte Modelle in der Drogenpolitik durch.

Am 17.01.2013 wird der Deutsche Bundestag die Themen “Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs” sowie “Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs verringern – Drugchecking ermöglichen” diskutieren.

Exakt in diesem Kontext finden die Beratungen Ihres Ausschusses statt. Egal ob in Colorado oder Kiel gibt es eine Gemeinsamkeit aller Diskussionsteilnehmer. Alle eint die Absicht, Sucht und Schaden durch Drogen zu minimieren. Einzig in der Problemlösungsstrategie besteht Uneinigkeit.

Vor der konkreten Bewertung der Anträge möchte ich betonen, dass mir trotz meiner beinahe 20-jährigen Erfahrung in Sachen Drogenpolitik kein einziger Repressionsmechanismus bekannt ist, welcher dazu führt, die Sucht bzw. den Konsum als solches zu reduzieren oder den Gesamtschaden zu verringern.

Die Folgen repressiver Gesetzesentscheidungen sind relativ einfach und ökonomisch zu beschreiben. Je höher der Repressionsdruck, desto höher die Gewinnspannen am Drogenmarkt, desto niedriger die Qualität der Ware, desto höher die Folgekosten durch Gesundheitsrisiken und sozialen Abstieg der Konsumenten. Eine etwaige Verringerung der Konsumentenzahlen ist dabei selbst in Systemen, die Drogenkonsum mit Sanktionen bis hin zur Todesstrafe ahnden nicht nachweisbar!

Die „Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit“ des Schweizer Nationalrates kommt am 30.04.1999 zu dem Ergebnis: „Die verbreitete Vermutung einer ins Gewicht fallenden generalpräventiven Wirkung der Konsumstrafbarkeit kann nicht nachgewiesen werden und scheint auch wenig plausibel […] Sämtliche empirische Untersuchungen und statistische Daten, sowohl im internationalen wie im interkantonalen Quervergleich deuten dementsprechend mit steter Regelmäßigkeit darauf hin, dass zwischen der Verbreitung/Häufigkeit des Drogenkonsums und der strafrechtlichen Verfolgungs- und Sanktionierungspraxis kein signifikanter Zusammenhang besteht“.

Um es mit einem Satz zu subsummieren: Der „war on drugs“ ist ein längst verlorener Krieg – worum es geht ist, den „peace on drugs“ sinnvoll auszugestalten.

An dieser Ausgestaltung sind Sie im Rahmen Ihrer legislativen Befugnisse aktiv und in diesem Sinne nehme ich konkret zu den Anträgen wie folgt und der Antragsnummerierung folgend Stellung:

Zum Antrag der Fraktion der FDP:

1) keine Veränderung des Grenzwertes für Cannabisprodukte in der Richtlinie zur Umsetzung des § 31 a:

Vordergründig bedarf die Diskussion einer Änderung der „geringen Menge“ keiner Priorität. Tatsächlich hat jedoch das Urteil vom 7. Dezember 2012, OVG NRW 13 A 414/11 (Vorinstanz: VG Köln 7 K 3889/09) ein zwingendes Argument geschaffen, über die Erhöhung pragmatisch und jenseits anderer Argumente nachzudenken. Mit seinem Urteil erlaubt es das Gericht kranken Patienten, selbst hoch THC-haltigen Hanf zu pflanzen. Aus ökonomischer Sicht entsteht hierdurch ein großes Angebotsrisikogefälle. Es ist davon auszugehen, dass tausende nichtkranker Konsumenten den Umstand wahrnehmen und von einer Krankschreibung Gebrauch machen, um ihr persönliches Risiko zu minimieren.
Dieser Effekt ist aus Kalifornien bekannt, wo in den letzten Jahren hunderte Hanfapotheken und Hanfbehandlungszentren eröffneten, um dem riesigen Ansturm der neuen Kranken Herr zu werden. Dabei ist der Zugang in Kalifornien formell sehr einfach gestaltet. Umgesetzt auf das deutsche System zur Anerkennung als Cannabispatient würde es allerdings zu riesigen Ausgaben in noch nicht berechenbarer Größe führen. Diese Kosten hätten alle Versicherten zu tragen. Ebenfalls verhindert ein solcher Effekt den größten Teil der sinnvollen Forschung, was zu Lasten der „echten“ Patienten geht. Da aber ein Patient, der auch nur eine Pflanze selbst anbaut, mit einer Ernte von bis zu 750 Gramm Cannabis rechnen kann und um den oben genannten Drifteffekt zu verhindern, schlage ich vor den Grenzwert für Cannabisprodukte in der Richtlinie zur Umsetzung des §31 a auf 750 Gramm anzuheben

Ebenfalls wäre die Menge von 750 Gramm eine realistische Jahresverbrauchsgröße für Genusskonsumenten, so dass eine Eigenverbrauchsversorgung ohne weitere juristische Änderungen möglich wäre und hiermit der Bereich des kriminell organisierten Marktes von einem auf den nächsten Tag austrocknen würde.
2) keine „Drugchecking-Angebote“ staatlich zu fördern, sondern stattdessen weiterhin sinnvolle Präventionsangebote insbesondere für Jugendliche zu fördern.

„Drugchecking-Angebote“ stellen aus meiner Sicht einen sinnvollen Beitrag zur Schadensminimierung dar, solange Drogenmärkte weiterhin ungeregelt und in der Illegalität agieren. Den Zusammenhang zwischen Qualität der Rauschmittel und Repressionsdruck habe ich oben dargestellt. Im aktuellen Zustand des ungeregelten Drogenmarktes findet keinerlei  interne Qualitätsüberwachung statt. Eine staatliche Überwachung von Mindeststandards existiert natürlicherweise ebenfalls nicht. Somit stellt „Drugchecking“ eine der wenigen Möglichkeiten dar, Risiken und Folgeschäden für Konsumenten und Gesellschaft zu minimieren. Das „Drugchecking-Angebot“ sollte dabei alle Konsumentengruppen und möglichst viele Substanzen beinhalten. Ein Ersatz zur Schaffung eines legalen und transparenten Drogenmarktes ist „Drugchecking“ keinesfalls. Es ist aber effektiv, um zumindest punktuell akute Schadensminimierung sicherzustellen. Einen Widerspruch zur Forderung nach sinnvollen Präventionsangeboten insbesondere für Jugendliche sehe ich nicht, solange diese Prävention strikt faktenorientiert arbeitet. Die Forderung, „Drugchecking-Angebote“ staatlich zu fördern, ist daher zu begrüßen.

Zum Antrag der Fraktion der CDU:

1)    Die bestehenden Grenzwerte für Cannabisprodukte nicht zu erhöhen.

Siehe Antrag FDP Punkt 1)

2)    Die Kommunen in ihren vielfältigen Bemühungen gegen Drogenmissbrauch weiterhin zu unterstützen.

Da die Kommunen die Hauptlastträger der Drogen- und Suchthilfe sind, ist es folgerichtig, diese in ihren Bemühungen gegen Drogenmissbrauch weiterhin zu unterstützen. Konkret bedeutet das, jenseits finanzieller Aspekte insbesondere auch für Kommunen einen klaren Rechtsrahmen sowie die Möglichkeit insbesondere innovative Modelle schnell und unkompliziert zu erproben. Sehr konkret und hilfreich für alle Kommunen wäre z.B. ein neutrales und strikt wissenschaftliches Substanzrisikoranking, da dadurch die Kommunen viel gezielter und glaubhafter präventiv aktiv werden könnten. Ebenfalls fehlen z.B. Mischkonsumrisikostudien mit deren Hilfe die Präventionsarbeit insgesamt effizienter gestaltet werden könnte und somit den Kommunen helfen würde gezielter Risikogruppen im Voraus zu fokussieren.

 3)    Maßnahmen zur Aufklärung und Prävention fortzuführen

Eine Verringerung des Missbrauchs und Schadensminimierung insgesamt kann nur erfolgreich mittels einer praxisnahen Drogenaufklärung realisiert werden. Daher sind Aufklärungs- und andere Präventionsangebote insbesondere für Jugendliche absolut unabdingbar. Die Maßnahmen sind aus meiner Sicht nicht nur fortzuführen sondern weiter auszubauen. Gleichzeitig sollte jedoch eine Evaluation des Angebotes stattfinden, um wissenschaftlich zu untersuchen, welche Aufklärung und Prävention die effektivste ist.
Zum Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW:

1)         Verstetigung und Fortentwicklung effektiver Suchtpräventionsangebote für legale und illegale Drogen sowie die Umsetzung eines konsequenten Jugendschutzes.

Wie oben beschrieben sehe ich in der Verstetigung und Fortentwicklung effektiver Suchtprävention einen Grundpfeiler zukünftiger Drogenpolitik. Ein effektiver Jugendschutz kann jedoch nur innerhalb eines geregelten Marktes greifen. Daher sollten aus der Perspektive eines konsequenten Jugendschutzes ebenfalls Konsequenzen für die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese gehen allerdings über eine Vereinheitlichung des Grenzwertes auf Bundesebene hinaus, da ein konsequenter Jugendschutz nur in einem regulierten und transparenten Markt möglich ist.

2)      Bundesweite Vereinheitlichung des Grenzwertes und der Strafverfolgung bei Cannabisprodukten.

Eine Bundesweite Vereinheitlichung des Grenzwertes und der Strafverfolgung bei Cannabisprodukten ist zu begrüßen. Einerseits erfüllt eine Vereinheitlichung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 wonach zumindest eine geringe Menge an Eigenbedarf nicht mehr Verfolgt werden soll – und das bundesweit einheitlich. Zum anderen würde die Vereinheitlichung des Grenzwertes endlich wieder Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit innerhalb der Bundesrepublik herstellen, die in diesem Punkt im Augenblick nicht gewährleistet ist.

3)      Möglichkeiten und Effekte einer modellhaften Erprobung von so genannten „Drugchecking“-Angeboten mit wissenschaftlicher Begleitung an einem Standort in Schleswig-Holstein

Wie oben bereits erwähnt sehe ich das „Drugchecking“ als sinnvollen Beitrag um Schaden zu minimieren. Daher gehe ich davon aus, dass Schleswig-Holstein mit der Erprobung des „Drugcheckings“ die Möglichkeit schaffen würde, als erstes Bundesland nachhaltig für wissenschaftliche Fakten zu sorgen und schädliche Folgen des Drogenkonsums zu minimieren.

4)      Prüfung der notwendigen rechtlichen Änderung zur Ermöglichung von Drogenkonsumräumen durch die Kommunen sowie dafür gegebene Bedarfslage

Wie unter Punkt 2) zum Antrag der CDU Fraktion bereits ausgeführt besteht eine der konkreten Hilfen, die das Land Schleswig-Holstein an Kommunen leisten kann, in der Klärung des exakten rechtlichen Rahmens innerhalb derer gehandelt werden kann. Folglich begrüße ich die Prüfung der notwendigen rechtlichen Änderungen zur Ermöglichung von Drogenkonsumräumen als eine zielführende Maßnahme, um den Schaden durch Drogenkonsum zu minimieren.
Ich hoffe mit meiner Stellungnahme einen Beitrag zur Entscheidungsfindung beigesteuert zu haben und würde mich über eine Einladung zur öffentlichen Sitzung freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Emanuel Kotzian